"Wir wollen ein Zeichen gegen Rechts setzen"
Sonntag, 10. Mai 2020, 09:15 Uhr
Statt wie sonst üblich im Mai wird in diesem Jahr im Juni gegen Rechts gelaufen. Aufgrund der aktuellen Situation findet der Lauf gegen Rechts nicht wie gewohnt an der Alster statt. Wir sprachen mit den Veranstalter*innen der Marathonabteilung über den Lauf, die aktuelle politische Situation und ihre Hoffnungen.
Moin, eigentlich würden wir alle in diesem Monat linksherum um die Alster laufen, um ein Zeichen gegen Rechts zu setzen. Aus bekannten Gründen ist das aktuell nicht möglich. Doch es gibt eine Alternative. Wie sieht die aus?
Moin moin. Wir haben lange überlegt, ob wir den Lauf gegen Rechts in diesem Jahr verschieben oder gar ausfallen lassen müssen. Nach den rassistischen Anschlägen von Hanau, Halle, Kassel und Celle war es für uns besonders wichtig, den Lauf trotz der Corona-Krise durchzuführen. Deshalb wird es dieses Jahr einen Lauf gegen Rechts geben, der von den Läufer*innen selbst gestaltet werden soll. Unter dem Titel 'Im Juni läuft der FC St. Pauli individuell* gegen Rechts – egal wo' (* in Zeiten von Corona) rufen wir möglichst viele Menschen dazu auf, im Juni gegen Rechts zu laufen. Das kann dann auch gerne als Foto mit einem kreativen antifaschistischen oder antirassistischen Spruch mit #lgr2020 gepostet werden. Die Anmeldung läuft über die Webseite der Marathonabteilung oder direkt HIER.
Was erhofft Ihr Euch von dieser Aktion?
Wir hoffen, dass wir auch unter den jetzigen Bedingungen Menschen, die sich sportlich und politisch engagieren wollen, dazu motivieren können auf die Straße zu gehen und ein Zeichen gegen Rechts zu setzen. Es ist leider so, dass durch das Thema Corona andere politisch hochbrisante Themen häufig weniger Beachtung finden. Die AfD ist immer noch in allen Parlamenten vertreten. Gleichzeitig spielen sich Tragödien an den Grenzen Europas ab. Wir schließen uns daher der Forderung der Seebrücke an, die Lager an den Außengrenzen Europas aufzulösen und den geflüchteten Menschen in Europa eine gesicherte Perspektive anzubieten – die Stadt Hamburg muss ihre Zusage ein sicherer Hafen für Geflüchtete sein zu wollen endlich einlösen, Menschen aufnehmen und ihnen eine sichere Perspektive schaffen. Wir versuchen auf eine sportliche Art Aufmerksamkeit darauf zu lenken und mit den Spenden wichtige antifaschistische Arbeit zu unterstützen. Wir hoffen, dass wir auch unter den jetzigen Bedingungen Menschen, die sich sportlich engagieren und ein Zeichen gegen Rechts setzen wollen, damit motivieren können auf die Straße zu gehen.
Der Lauf gegen Rechts feiert im nächsten Jahr zehnjähriges Jubiläum. Hättet Ihr mit dieser Entwicklung gerechnet?
Feiern und Jubiläum sind sicherlich im Hinblick auf politische Arbeit gegen Rechts keine so richtig passende Begriffe. Es ist traurig und erschreckend, dass es immer noch solcher Aktionen bedarf, 75 Jahre nach Ende des deutschen Faschismus. Es stimmt, dass wir nächstes Jahr den zehnten Lauf gegen Rechts veranstalten werden. So wie sich die jetzige Situation darstellt, wird es wohl auch nächstes Jahr notwendig sein, sich gegen Rassismus, Faschismus, Homophobie und Sexismus klar zu positionieren und zu engagieren!
Die AfD in den Parlamenten, rechtsextreme Anschläge und ein politischer Diskurs, den wir uns vor ein paar Jahren in der Form so noch nicht hätten denken können. Was ist passiert?
Als wir 2012 als Teil eines breiten hamburgweiten Bündnisses gegen den Nazi Aufmarsch 'Tag der deutschen Zukunft' den Lauf zum ersten Mal veranstaltet haben, dachten wir nicht im Traum daran, wie sich der Diskurs derartig nach rechts verschieben könnte. Mit Gründung und Erstarken der AfD hat sich eine neue, rechtsextreme Partei in der deutschen Parteienlandschaft etabliert. Es ist erschreckend, 75 Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus wieder mit der Verharmlosung des Holocaust umgehen zu müssen. Daher ist es wichtig der AfD, wo auch immer es geht, entgegenzutreten. Aber auch und vor allem indem wir uns offen solidarisch mit Geflüchteten, Migrant*innen, schwarzen Menschen, Juden und Jüdinnen, Sint*ezze und Rom*nja und People of Colour zeigen, die in Deutschland auch im Jahr 2020 tagtäglich Rassismus oder Antisemitismus erfahren.
Wo seht Ihr die Gründe für diese Entwicklung?
Rechtsextreme Strukturen in Form von Parteien wie der NPD, Kameradschaften oder Burschenschaften etc. gab es ja auch bereits vor der AfD. Viele dieser Gruppen und deren Anhänger*innen trauen sich jetzt in dem hasserfüllten Klima noch unverhohlener ihre menschenverachtenden Ideologien öffentlich zu verbreiten. Rassistische Täter wie in Hanau, Celle, Halle und Kassel schrecken nicht zurück, Menschen in diesem Geiste zu morden. Ein entschiedeneres Vorgehen wäre zwingend geboten, aber oft geht es nach Anschlägen oder der Aufdeckung rechter Strukturen schnell wieder um andere Themen. Unserer Meinung nach ist diese Entwicklung jedoch gefährlich und es sollte selbstverständlich sein, entschieden dagegen vorzugehen und sich mit den Opfern von Rassismus zu solidarisieren.
Aktuell werden die Nachrichten und der gesellschaftliche Diskurs vom Coronavirus und seine Folgen bestimmt. Was ist aktuell die Gefahr und was ist gerade jetzt wichtig?
Neben der Einschränkung gesellschaftlicher Grundrechte ist aktuell die mangelnde Medienaufmerksamkeit zu politischen Themen außerhalb des Coronavirus unseres Erachtens eines der zentralen Probleme. Wenn einzig die Berichterstattung über die Pandemie die Medien dominiert, bleiben andere wichtige Themen ungehört und ungesehen. Das gilt für eine Reihe von Fragen, insbesondere die von den Schicksalen Geflüchteter, die Situation Obdachlosen in der Pandemie, den weiter geführten internationalen Kriegen und die nach wie vor stete Gefahr von Rechts in Europa.
Was macht Euch Hoffnung?
Zum einen, dass sich in den letzten Jahren die Zahl der Teilnehmer*innen beim Lauf gegen Rechts kontinuierlich erhöht hat. Außerdem der Zuspruch, den wir seit der Neueröffnung der Anmeldeseite, die durch die Corona Pandemie zwischenzeitlich geschlossen war, erfahren haben. Über E-Mail und Social Media haben wir viele positive Rückmeldungen von Menschen erhalten, die sich freuen, dass es auch in diesem Jahr wieder einen Lauf gegen Rechts geben wird. Wir freuen uns auch sehr über die Haltung und den Support durch den Verein.
Kein Fußbreit den Faschisten - Alerta Antifascista!
(lf)
Foto: FC St. Pauli
Grafik: FC St. Pauli Marathon