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„Ey Schiri! Hast Du das nicht gesehen?“

Manuel-Lórand Barabás ist seit elf Jahren Schiedsrichter und pfeift seit vier Jahren für den FC St. Pauli in der Bezirks- und Kreisliga. Anlässlich der von DFB und DFL ins Leben gerufenen Aktion "Danke ans Ehrenamt", mit der an den ersten beiden Dezember-Wochenenden allen ehrenamtlich Tätigen gedankt wird, sprachen wir mit ihm über die aktuelle Entwicklung im Schiedsrichterwesen, seine Erfahrungen auf dem Fußballplatz und natürlich die Ausübung eines Ehrenamtes.

Moin Lórand, einen Tag vor unserem Treffen hast Du Teutonia 10 II gegen Niendorf IV in der Kreisliga 2 gepfiffen. Niendorf gewann mit 3:1 an der Max-Brauer-Allee. Wie war’s?

Es war ein sehr entspanntes Spiel. Meine beiden Assistenten waren sehr jung und unerfahren. Deswegen bin ich vor der Partie zu den Trainern und habe sie darauf hingewiesen, dass sie sich bei Beschwerden oder Kritik an mich wenden und meine jüngeren Kollegen nicht angehen sollen. Das hat super funktioniert. Natürlich wird man während des Spiels von den Spielern angeschrien, aber alles im normalen Bereich. Es wurde nicht vulgär oder ausfallend. Eher waren es Fragen wie: „Ey Schiri! Hast Du das nicht gesehen?“

Wie sehr gehst Du in solchen Situationen in die Kommunikation mit den Aktiven?

Ich bin dann auch mal so ehrlich und gebe zu, dass ich es nicht gesehen habe.

Ist es die Regel, dass es so ruhig läuft?

Nein, es gibt Spiele, da merkt man schnell, dass es mit einem Abbruch enden könnte.

Wie gehst Du diese Spiele an?

Eher entspannt. Ich bin einer der wenigen Kollegen, die sich vorab nicht über die Fairnesstabelle oder ähnliches informieren. Dadurch gehe ich nicht voreingenommen an die Sache heran. Während des Spiels sehe ich, wie sich die Dinge entwickeln. Da lasse ich mich lieber überraschen. Mir wird nachgesagt, dass ich eine ruhige Art habe. Sollte Trubel entstehen, lass ich den vorüberziehen und sanktioniere im Nachgang entsprechend. Generell hatte ich noch nie einen Spielabbruch, musste bisher vergleichsweise wenige Rote Karten geben und wurde noch nie körperlich angegangen.

Wieviel Spaß macht es, sich regelmäßig von übermotivierten Amateurfußballern anschreien zu lassen?

An sich machen die Spiele Spaß. Kurz nach einer Partie grübelt man natürlich über einzelne Entscheidungen – gerade wenn man zuvor von 22 Spielern und Zuschauern lautstark kritisiert wurde. Einen Tag später kommt aber die Freude über die Tatsache, dass man den Mut hatte, Entscheidungen zu treffen. Selbst wenn mal ein Pfiff nicht richtig war, erinnere ich mich daran, dass Fehler menschlich sind und wir uns auf Kreis- und Bezirksliga-Niveau befinden. Hier machen auch die Fußballer Fehler. Darüber hinaus werden auch in den Bundesligen Fehler gemacht. Diese Gedanken überwiegen gegenüber dem Stress, dem man ab und zu ausgesetzt ist.

Gewissermaßen ist der Job des Schiedsrichters auch eine Art Charakterschule, oder?

Das ist der große Vorteil als Schiedsrichter. Man wächst mit der Zeit und entwickelt sich. Als Spielleiter lernst Du, Entscheidungen zu treffen und mit Konflikten umzugehen, denn die hast Du 90 Minuten lang auf dem Feld. Weiter wächst die Beurteilungsfähigkeit. Du musst Dinge sehen, bewerten und entscheiden. Wenn mal die falsche Entscheidung getroffen wurde, hilft Ehrlichkeit. Es lohnt sich nicht zu sagen, dass in bestimmten Momenten nichts passiert ist, obwohl das offensichtlich scheint. Stattdessen zuzugeben, dass man es nicht gesehen hat, entschärft Situationen oftmals schneller.

Welche Veränderungen hast Du an Dir selbst feststellen können, seitdem Du an der Pfeife aktiv bist?

In meiner Entwicklung als Mensch hat es mich natürlich auch weitergebracht. Ich gehe deutlich unvoreingenommener an Dinge heran, beobachte zunächst und entscheide erst dann. Außerdem bin ich in stressigen Momenten ruhiger geworden. Vielleicht hilft mir das heute auch beim Interview auf dem Platz (schmunzelt).

Warum bist Du eigentlich Schiedsrichter geworden?

Ich wollte nah am Spiel sein, aber meine Kraft und Kondition hätte nicht für 90 Minuten als Spieler gereicht. Als Schiri kann man sich seine Reserven etwas besser einteilen. Das ist aber natürlich auch abhängig von der Spielklasse. Bereits in frühen Jahren war ich schon sehr entscheidungsfreudig. Darüber hinaus gab es auch ein wenig Taschengeld.

Manuel in der Schiedsrichterkabine des Millerntor-Stadions.

Manuel in der Schiedsrichterkabine des Millerntor-Stadions.

Vielerorts wird über Schiedsrichtermangel geklagt. Woran könnte das liegen?

Es ist ein Mix aus vielen Komponenten. Aufwand, Anerkennung, Bezahlung und Stress spielen hier eine Rolle. Beispielsweise hat man eine lange Anfahrt, wird 90 Minuten angebrüllt, hat keine eigene Umkleidekabine und fährt verschwitzt nach Hause. Dafür bekommt man 15 Euro und eine Wurst. Natürlich macht man es nicht des Geldes wegen, aber die Entlohnung steht oft gar nicht im Verhältnis zum Aufwand. Dennoch glaube ich, dass sich die Situation verändert hat und es mehr Schiedsrichterkollegen gibt als noch vor ein paar Jahren. Das liegt vor allem daran, dass der Verband mittlerweile härter durchgreift.  

Wie wichtig ist das Ehrenamt für die Gesellschaft?

Ich bin gespalten und behaupte, dass es nicht mehr die Bedeutung hat, die es vor ein paar Jahren noch hatte. Allerdings sehe ich auch, dass hier beim FC St. Pauli und um den Verein herum noch eine große Bedeutung hat. Das gefällt mir total. Natürlich ist das Ehrenamt wichtig. Ja, es wird entlohnt und man bekommt eine gewisse Anerkennung, aber ich glaube, dass es deutschlandweit zu wenig Wertschätzung für ehrenamtlich Tätige gibt.

Was kann man dagegen tun?

Ich finde durchaus, dass spezielle Tage helfen, um das Ehrenamt in den Vordergrund zu rücken. Man braucht nicht immer bekannte Gesichter, um auf etwas aufmerksam zu machen. Eher finde ich es gut, wenn Ehrenamtler erzählen, warum sie aktiv sind. Wenn wir am heutigen Spieltag nur ein Prozent der Stadionbesucher begeistern und für ein Ehrenamt motivieren können, dann hat es sich schon gelohnt.

Die Schiedsrichterzahlen gehen zurück. Warum kannst Du nur jedem empfehlen, die Pfeife beim FC St. Pauli in den Mund zu nehmen?

Weil wir ein toller Verein sind, wir unsere Schiedsrichter supporten, wo wir nur können, und weil wir zusammenhalten und helfen, wenn es Probleme gibt. Beispielsweise bekommen unsere Nachwuchs-Schiedsrichter bei ihren ersten Einsätzen einen Betreuer zur Seite gestellt, der mit ihnen die Partien besucht, sie berät und vor und nach dem Spiel unterstützt. Weiter treffen wir uns wöchentlich im Clubheim des FC St. Pauli, tauschen uns aus und stehen für Fragen zur Verfügung. Auch nicht ganz unwesentlich für angehende Schiedsrichter ist, dass unsere Abteilung bei Ausrüstung und Klamotten zur Hand geht.

Was für Ziele und Träume hast Du in Deinem Schiedsrichterdasein?

Mit 27 ist der Zug für die Bundesliga abgefahren. Gerne würde ich in der Oberliga pfeifen. Außerdem wäre ein Freundschaftsspiel des FC St. Pauli eine klasse Geschichte. Ich mach es nicht, um im Rampenlicht zu stehen. Ich mache die Sache, damit ich mich wohlfühle.

Wann bist Du nach Ablauf der 90 Minuten zufrieden?

Es reicht mir, wenn man sich nach dem Spiel die Hand geben kann. Egal wie gut oder schlecht die Partie lief. Manchmal kommen die Spieler und es ist alles vergessen und man trinkt gemeinsam ein Bierchen. Dann bin ich zufrieden.

Vielen Dank für das Gespräch, Manuel!

 

(lf)

Fotos: FC St. Pauli

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